
In meinem Berlin direkt-Beitrag für ZDFheute Nachrichten habe ich eine Woche begleitet, in der gleich zwei Kriege die internationale Lage verschärften — und in der Deutschland plötzlich einen Führungsanspruch formulierte. Zwischen Botschafterkonferenz, Angriffen in Doha und Drohnenangriffen auf Polen stand eine Frage im Raum: Kann und will die Bundesregierung wirklich Führung übernehmen — und wenn ja, wie?
Key Takeaways
- Bundeskanzler Friedrich Merz fordert ein neues Maß an Verantwortung Deutschlands — erstmals seit einem Vierteljahrhundert spricht ein Kanzler vor der Diplomatie-Vollversammlung.
- Der Angriff Israels in Doha löste eine kontroverse EU-Debatte über Sanktionen aus; Deutschland reagiert vorsichtig und will Gesprächsergebnisse abwarten.
- Russische Drohnenangriffe auf Polen führten zu Beratungen nach NATO-Artikel 4 und zu einer Verstärkung an der Ostflanke — Deutschland schickt zusätzliche Eurofighter.
- Diskussionen über Wirksamkeit von Sanktionen, militärische Abschreckung und Abschiebungen nach Afghanistan bleiben offen und zeigen die komplexe Balance deutscher Außenpolitik.
1. Merz will Verantwortung — und polarisierende Worte

Der Auftritt von Bundeskanzler Friedrich Merz bei der Vollversammlung der deutschen Diplomatie war symbolisch: Zum ersten Mal seit 25 Jahren kam ein Kanzler zusammen mit allen Botschaftern ins Auswärtige Amt. Merz formulierte klar den Anspruch, Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen — für Europa und die Welt.
Diese Ansage löste gemischte Reaktionen aus. Einige im Saal begrüßten den „Großauftrag“ an die Diplomatie: Deutschlands Einfluss soll wachsen, die Welt sicherer werden. Andere warnten eindringlich vor historischen Fallstricken: „Wir hatten das schon mal in der deutschen Geschichte“, ein Satz, der verdeutlicht, wie sensibel Forderungen nach größerer Führung hierzulande aufgenommen werden.
2. Der Angriff in Doha und die gespaltene EU-Reaktion
Nur 23 Stunden nach der Botschafterkonferenz stieg Rauch über Doha auf: Ein Angriff Israels auf Anführer der Hamas in Katar löste diplomatische Erschütterungen aus. Kanzler und Außenminister einigten sich öffentlich auf die Formulierung, dass das Vorgehen „nicht akzeptabel“ sei.
Die EU-Kommissionspräsidentin schlug ein hartes Maßnahmenpaket vor: Zahlungen an Israel einfrieren, bestimmte Minister sanktionieren und Handelsabkommen aussetzen. Würde Deutschland dieses Paket unterstützen, wäre der EU-Kurs mehr oder weniger besiegelt.
Die Realität war komplizierter. Die Bundesregierung und Außenministerin/Der Außenminister entschieden sich zunächst zur Beratung im Rat und in der Koalition — ein deutlich vorsichtigerer Kurs. Innerhalb der Koalition und im Parteienspektrum zeigte sich ein klares Ringen:
- Die SPD forderte ein schnelles Ja zu Sanktionen und kritisierte, Deutschland nehme zu viel Rücksicht auf Israel.
- Union und Teile der CDU/CSU sahen in einem Sanktionskurs eine Gefährdung der langjährigen Unterstützung Israels; bereits ein Stopp von Waffenlieferungen hatte dort Unmut ausgelöst.
„Der Angriff Israels in Doha ist nicht akzeptabel.“
3. Russische Drohnen über Polen: NATO reagiert — aber reicht das?

Am Mittwoch eskalierte die Lage in Europa weiter: Russische Drohnen vordrangen hunderte Kilometer und erreichten polnisches Territorium. Das war eine ernsthafte Prüfung der NATO-Grenzen — und die Allianz reagierte mit Beratungen nach Artikel 4 und einer Verstärkung der Ostflanke. Deutschland entsandte zwei weitere Eurofighter nach Polen.
Trotz der Reaktionen bleiben manche Kritiker skeptisch: Reichen Flugzeuge und Beratungen, wenn keine klaren Ultimaten oder sofortigen Gegenmaßnahmen folgen? Ein oft wiederkehrender Kritikpunkt lautet, westliches Handeln wirke manchmal zögerlich und damit unglaubwürdig.
Parallel bereitet die EU ihr inzwischen 19. Sanktionspaket gegen Russland vor — ein Umstand, der Fragen aufwirft. Aus der Sanktionsforschung wissen wir: Sanktionen wirken nur, wenn sie schnell und hart sind. Wer mit dem 19. Paket drei Jahre nach Beginn einer Auseinandersetzung kommt, lässt dem Gegner Zeit, sich anzupassen.
Trotzdem sind wirtschaftliche Auswirkungen sichtbar: In der Berichterstattung wurde eine inoffizielle russische Inflationsrate von circa 20 % und ein Leitzins von 20 % genannt — Zahlen, die die russische Wirtschaft massiv belasten.
4. Wirtschaftliche Hebel: Warum China und Indien hier eine Rolle spielen
Eines der zentralen Probleme der westlichen Strategie ist, dass große Abnehmer russischer Rohstoffe — vor allem China und Indien — den Markt stützen. Ökonomisch „wirklich wehtun“ könnte ein Stopp der Öl- und Gasimporte durch diese Staaten.
Deutschland und die EU können solche Staaten nicht einfach sanktionieren; es braucht multilaterale Abstimmung. Außenminister Wadephul betonte, die EU bestehe aus 27 Mitgliedstaaten — diese Größe mache stark, erfordere aber Abstimmungsprozesse. Er verwies außerdem auf Gespräche in Neu-Delhi, bei denen er Indiens Bereitschaft sah, an einer Beendigung des Ukraine-Krieges mitzuwirken. Ob das reicht, bleibt offen.
5. Mehr als Worte: Verteidigungsfähigkeit, Bundeswehr und Luftabwehr
Ein weiterer Kernpunkt der Woche war die Frage: Wie verteidigt man NATO-Gebiete effektiv gegen moderne Bedrohungen wie Drohnen? Wadephul sagte klar: Landes- und Bündnisverteidigung müssen wieder Priorität haben. Dazu gehört, geeignete Waffensysteme zu beschaffen und Personal aufzustocken.
Konkrete Forderungen aus dem Regierungsumfeld lauteten:
- Stärkere Luftverteidigung an der Ostflanke, eventuell Verlegung vorhandener Systeme aus Griechenland oder Spanien nach Osteuropa.
- Mehr Geld und Personal für die Bundeswehr.
- Wiederbelebung eines verpflichtenden Wehrdienstes als Option zur Personalstärkung.
Die Debatte zeigt: Abschreckung braucht sowohl militärische Kapazität als auch eine glaubwürdige politische Strategie — beides muss Deutschland mit seinen Partnern ausbauen.
6. Abschiebungen, Doha und Gespräche mit den Taliban

Die Debatte um Afghanistan und Abschiebungen schlug in dieser Woche ebenfalls hohe Wellen. Ein Angela-Dobrindt-ähnliches Versprechen, Gespräche mit den Taliban in Kabul zu führen, hatte für Verwirrung gesorgt. Außenminister Wadephul stellte klar: Gespräche finden derzeit in Doha (Katar) statt — nicht in Kabul.
Er machte deutlich: Wer das Gastrecht in Deutschland missbraucht, schwere Straftaten begeht und kein Aufenthaltsrecht hat, muss abgeschoben werden können. Dafür seien sowohl Außen- als auch Innenministerium in technischer Abstimmung aktiv.
Fazit: Führungsanspruch — ehrgeizig, aber mit vielen offenen Fragen
Deutschland stellt sich als mögliche Führungskraft in Europa dar. Die Woche hat aber gezeigt: Anspruch allein reicht nicht. Es braucht klare, schnelle Entscheidungen in mehreren Bereichen:
- Eine konsistente EU- und NATO-Strategie gegenüber Russland, die schnelles und entschlossenes Handeln ermöglicht.
- Konkretere Schritte zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit, insbesondere Luftabwehr, Personal und Beschaffung.
- Eine kohärente Position in der Nahost-Politik, die historische Verantwortung, Partnerschaft mit Israel und humanitäre Maßstäbe in Einklang bringt.
- Transparente, rechtssichere Verfahren bei Abschiebungen und klare Regeln für Gespräche mit schwierigen Partnern.
Deutschland hat den Anspruch formuliert. Ob es ihn glaubhaft erfüllen kann, hängt nun an Tempo, Mut zu Entscheidungen und der Fähigkeit, Verbündete mitzunehmen. Ich bleibe dran — und beobachte, wie aus Worten verlässliche Politik wird.
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